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Herzlich Willkommen auf meiner WebseiteClaudia Mühlhans wurde 1953 in Halle / Saale geboren und lebt seit 1956 in Gießen 1971 machte Sie an der Ricarda-Huch-Schule Abitur, anschließend folgten fünf Semester Lehramtstudium an der Justus-Liebig-Universität. Heirat 1972, ein Sohn (Nikolai). Literarische Veröffentlichungen: Ein Roman "Und Abel erschlug Kain" im Verlag Neues Leben, Berlin „Stellenweise Bodenfrost“, 34 Short Stories, Epubli-Verlag, Berlin (auch als Ebook) „Der gemeine Zauber“, Gedichte, Epubli-Verlag, Berlin „Mona Mondmädchen“, illustriertes Kinderbuch, Epubli-Verlag, Berlin (Ebook) Gedichte und Kurzgeschichten in Anthologien. |
Gedicht des MonatsKamelie im SchneeManchmal (Aus Claudia Mühlhans:“Der gemeine Zauber“)
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AktuellesNächste Ausstellung vom 17.09. – 28.10.2020 im Foyer der Hauptstelle der Sparkasse Gießen, Johannesstraße 3, 35390 Gießen. Vernissage ist am 17. September 2020 um 18:30 Uhr.
Ihr Lieben, da es mir wie vielen Künstler*innen geht, und wegen der Corona-Krise meine lange und liebevoll geplante Vernissage verschoben werden musste, habe ich mich entschlossen, wöchentlich auf meiner Homepage ein Bild aus der aktuellen Ausstellung in der Berliner Galerie DAMSO zu veröffentlichen. Ich werde das jeweils mit einer meiner Short Stories (aus meinem Kurzgeschichtenband: "Stellenweise Bodenfrost", erhältlich über Epubli oder Amazon) kombinieren und wünsche Euch eine kleine, ablenkende Auszeit aus der allgemeinen Situation damit. Herzlichst Eure Claudia Mühlhans
Bildtitel: Shiny dreams of evolution
Claudia Mühlhans Prickelwasser
Ferdinand blickte zufrieden in die Runde. Er hatte gerufen und alle waren gekommen. Ferdinand wollte sie sehen und sie wollten etwas von ihm haben. Er wusste, was sie bekommen würden. Zunächst einmal gab es Champagner. Champagner zum pikanten Blätterteigkonfekt, zur Perlhuhnconsommé, selbst zum Rinderfilet mit Morcheln ließ Ferdinand unerschütterlich Champagner reichen. Seine Mutter liebte dieses Getränk. Vom „Prickelwasser“, wie sie es nannte, trank sie allabendlich eine kleine Flasche! Seitdem sie fünfundsiebzig war. Vor kurzem hatte sie ihren fünfundneunzigsten Geburtstag gefeiert. Selbstverständlich mit Champagner. Da ihr Freundeskreis in den letzten Jahren sehr geschrumpft war, hatte Ferdinand nicht tief in die Tasche greifen müssen, obwohl er sich dies durchaus leisten konnte. Das war auch seiner herbeigeeilten Verwandtschaft bekannt. Ferdinand war großzügig. Er finanzierte hier ein Studium, half dort beim Hausbau, gab Starthilfe zum Praxisaufbau eines Großneffen, der seine Ausbildung zum Physiotherapeuten erfolgreich abgeschlossen hatte. Aber die Verwandtenmeute hatte Blut geleckt. Sie witterte noch mehr. Ferdinand war siebzig Jahre alt. Seine Frau Sylvie war gerade achtundfünfzig geworden. „Mit Nachwuchs wird das nichts mehr. Außer er nimmt sich eine Jüngere!“ hatte Ferdinands älterer Bruder Richard zu seiner Frau Denise bemerkt. Sie beruhigte ihn: „Ferdinand ist eine treue Seele. Und ein Trottel, “ fügte sie innerlich hinzu. Wie konnte ein so erfolgreicher Mensch sich mit einer so hohlen Nuss wie dieser Sylvie begnügen? Ferdinand wusste, was seine Verwandtschaft sich für Gedanken um ihn und Sylvie machte. Er blickte zu seiner Frau, die ihm gegenüber saß. Ihr Rosenhut warf einen milden Schatten auf ihr Gesicht. Durch die Botoxspritzen besaß es einen runden, erstaunten Augenausdruck sowie ein permanentes Heben der Mundwinkel, was ihr das Aussehen einer ältlichen Puppe verlieh, die gleich „Mama“ sagen würde. Sie war arbeitslose Bäckereifachverkäuferin gewesen als sie sich vor siebenundzwanzig Jahren in seiner Cateringfirma als Aushilfe beworben hatte. Seit sechsundzwanzig Jahren waren sie verheiratet. Seine Firma lief damals schon recht gut, hatte aber längst nicht die Ausmaße, die sie heute hatte.
Ferdinand wusste, dass Sylvie ihn nicht seines Geldes wegen geheiratet hatte. Sie war viel zu gutmütig, um geldgierig zu sein. „Zu dumm, um sich ein Rezept für Hefeteig zu merken“, hatte seine Schwester Margot einmal über sie geäußert. Natürlich war die Bemerkung Ferdinand hintertragen worden. Er Hatte gelacht: „Hauptsache, ich kann das!“ Bis zu seinem achtunddreißigsten Lebensjahr hatte er als Bäcker gearbeitet. Erst bei seinem Meister, nach dessen Tod sechs Jahre in einer Brotfabrik. In dieser Zeit reifte in ihm der Entschluss, das, was er gern machte, auch gut zu machen. Er buk salziges und süßes Kleingebäck, bot es auf Wochenmärkten, in Delikatessläden und in nobleren Restaurants an. Sein pikantes Blätterteigkonfekt wurde ein Renner. Er erweiterte sein Angebot um warme, gefüllte Teiggerichte, stöberte Rezepte aus der gesamten Mittelmeerregion auf und schwamm erfolgreich in eine Luxusfresswelle hinein. Er wurde für Partys und Büffets verpflichtet, stellte einen Koch und zwei Aushilfen ein. Richtig erfolgreich lief es dann für ihn, nachdem er das Catering für eine Filmproduktion gestellt hatte. Alle wollten seinen „leckeren Fraß“, wie ein berühmter Schauspieler öffentlich äußerte. Er nahm einen Kredit auf, gründete eine Firma, beschäftigte einen Steuerberater. Und heiratete Sylvie. Die Ehe verlief glücklich. Ferdinand arbeitete und expandierte, Sylvie umsorgte ihn. Sie bekamen keine Kinder. Sylvie wollte Ärzte Konsultieren, Ferdinand war dagegen. Er hätte gerne Nachwuchs gehabt, „aber wenn es nicht sein soll, sind wir auch so glücklich.“ Seine zwei Brüder und seine zwei Schwestern sorgten schon dafür, dass die Familie nicht ausstarb, und für jedes neugeborene Kind wurde er geliebter Patenonkel. Als Bäcker war er als Pate nicht so begehrt gewesen. Seine älteren Nichten und Neffen warfen dies ihren Eltern bitter vor. Sie waren jetzt auch schon um die vierzig und Eltern. Wenn sie mit Ferdinand sprachen, stöhnten sie über ihre viele Arbeit und die vielen Ausgaben für ihre Kinder. Ferdinand tröstete und öffnete seine Taschen. Je mehr er die Taschen der anderen füllte, umso unzufriedener wurden diese. Ferdinand hörte es in ihrer Stimme, sah es in ihren Mienen. „Der Alte hat ja noch nicht mal Kinder. Was will der denn mit seinem ganzen Zaster?“
Seine Mutter freute sich über seine Erfolge. Sie zählte nicht nach, wie viel er hatte und wie viel er für sie ausgab. Mit Mitte siebzig zog sie in eine noble Seniorenresidenz („mit Stilmöbeln“ erwähnte ihre Tochter Renate jedes Mal) und entdeckte das Prickelwasser. Ferdinand wusste, dass seine Mutter sich nie viel aus Alkohol gemacht hatte und als er bemerkte, wie sehr ihr Champagner zusagte, sorgte er dafür, dass er ihr nie ausging. Er bekam ihr großartig. Heute präsidierte seine Mutter am Ende der Tafel, mit sorgfältig gepflegtem Silberschopf und Hörgerät. Trotz der Hörhilfe verstand sie in der großen Runde kaum ein Wort, blickte aber munter nach rechts und links. Alle wussten, dass Ferdinand scharf darüber wachte, dass ihr Respekt gezollt wurde. Ihre Enkel und Urenkel besuchten sie regelmäßig, denn sie verteilte gerne das Taschengeld, das Ferdinand ihr reichlich zukommen ließ. Trotzdem musste sie im Namen der „armen Kinder“ immer wieder um Ferdinands Hilfe bitten, wenn wieder ein Auto zu Schrott gefahren war oder exklusive Urlaubspläne anstanden. Auch die Pferdehaltung seiner jüngsten Großnichte finanzierte er. Steffi, so hieß sie, hatte sich noch nie dafür bedankt. Ferdinand nahm es dem achtjährigen Kind nicht übel. Er wusste, dass der Kommentar ihrer Eltern lautete: „Was soll der Alte schon mit seinem Geld anfangen?“ Ferdinand lächelte in sich hinein. „Du findest das wohl komisch?“ empörte sich seine zwei Jahre jüngere Schwester Margot, die neben ihm saß, „ich erzähle dir von meiner Arthrose und du lachst!“ „Selbstverständlich bezahle ich dir deinen Professor und seine Therapie, “ begütigte Ferdinand, „für deine Arthrose.“ Ihm war schon häufig aufgefallen, dass viele ältere Menschen in einem besitzergreifenden Ton über ihre Krankheiten sprachen. Damit der Zuhörer auch merkte, dass sie etwas besaßen. Krankheiten als Ersatz für verlorene Jugend. Ferdinand hatte noch nie verstanden, warum die meisten Menschen ab den mittleren Jahren mit einer missmutigen Haltung zu sich selbst stehen, als ob das Altern selbst eine Krankheit wäre. Ihm hatte die jahrelange Nachtarbeit als Bäcker Schlafstörungen und Kopfschmerzen beschert und der rasante Firmenaufbau nährte Magengeschwüre, sodass Sylvie Anlass sah, ihn zu päppeln und zu pflegen. Das fortschreitende Altern mit Ermüdungserscheinungen diverser Körperpartien aber nahm Ferdinand gelassen hin.
„Wie könnte ich behaupten, ich besäße geistige Reife, wenn ich nicht imstande bin, meine körperliche Reife zu ertragen“, sinnierte er morgens vor sich hin, wenn er sein Rasiermesser durch den duftenden Schaum zog. Mit Sylvie konnte er über solche Gedanken nicht sprechen. Hartnäckig hatte sie darauf bestanden, ihm ein jugendliches Antlitz zu präsentieren und ließ sich regelmäßig diese verdammten Botoxspritzen geben. Sie wusste nicht, dass ewige Jugendlichkeit grauenhaft und das krampfhafte Festhalten an einem Zustand das Ende jeder Entwicklung ist. Ferdinand, der erst mit Anfang vierzig angefangen hatte, sein Leben so zu gestalten, wie es ihm entsprach, freute sich über jeden Tag, den er erlebte und den er älter wurde. Und über seine Gelassenheit, mit der er das faltenfreie Gesicht seiner Frau betrachtete oder das Treiben seiner Verwandtschaft beobachtete. Er wusste, dass Sylvie aus Liebe zu ihm und aus Angst handelte und verstand, dass der Neid und die Gier der Menschen in dem Gefühl der Kränkung wurzelte, was das Leben und das Altern ihnen alles antat. „Ich nehme mein Leben nicht so persönlich, “ sinnierte Ferdinand, „ich sehe es eher als Möglichkeit, was in mir steckt zum Ausdruck zu bringen. Wenn’ s sein muss, dann eben in einer Brotfabrik.“ „Was sagst du?“ fragte Margot neben ihm misstrauisch, „was willst du mit einer Fabrik?“ „Nichts“, sagte Ferdinand friedlich, „ich habe nur laut gedacht.“ „Ja, jeder wird alt!“ kommentierte sein Bruder Richard und beugte sich vor. „Willst du uns nicht endlich verraten, was der Anlass zu diesem Treffen ist? Das Dessert ist verspeist, der Käse steht auf dem Tisch und stinkt.“ Richard hasste Käse, Ferdinand legte Wert auf eine gepflegte Käseplatte zum Abschluss. „Gerne!“ Ferdinand stand auf, hob sein Champagnerglas, schlug mit dem Silbermesser dagegen. Das aufgeregte Schwatzen verstummte. Vierundzwanzig Gesichter unterschiedlichen Alters blickten zu ihm auf. „Meine liebe Verwandtschaft“, begann Ferdinand, „ich habe euch alle zusammengerufen, um eure unausgesprochenen Gedanken und Fragen zu beantworten. Diese kreisen nicht um mich, das weiß ich wohl, sie kreisen um mein Geld. Und um die Frage, was ich damit vorhabe, jetzt, wo ich die Firmen verkauft habe.“ Das anfangende aufgeregte Tuscheln besänftigte er mit erhobener Hand.
„Ihr wisst ja alle, dass die Ehe mit meiner lieben Sylvie nicht mit Nachwuchs gesegnet wurde…“. Sylvie blickte ihren Mann an. Es schien, als wären ihre Mundwinkel in ewigem Erstaunen über diesen Witz des Schicksals nach oben gebogen. Es herrschte Totenstille. Ein jüngeres Kind, das nach mehr Nachtisch quengeln wollte, wurde ermahnend von seiner Mutter gekniffen. „Also, so fasse ich eure Gedanken zusammen“, fuhr Ferdinand fort, „was macht der dann mit seinem Geld? Nachdem er abgekratzt ist?“ „Ruhe!“ donnerte Ferdinand aufkommenden lautstarken Protest zurück. „Ihr wollt meine Pläne erfahren, also seid ruhig!“ Wieder herrschte Totenstille. „Ich fasse zusammen, es gibt ein großes Vermögen, jede Menge Kohle, “ verbeugte sich Ferdinand zu seiner jüngeren Verwandtschaft hin, „und kein leibliches Kind.“ „Ich bitte dich“, entrüstete sich seine Schwägerin Denise, „alle unsere Kinder sind ja wohl so wie deine eigenen Kinder.“ „Das Gefühl habe ich auch, “ schmunzelte Ferdinand, „aber ich habe den Wunsch, nur einen von euch zu bedenken.“ An der ganzen Tafel atmete einen Moment lang bis auf die Kinder und die fünfundneunzigjährige Greisin kein Mensch mehr. Ferdinand blickte um sich, lächelte und sagte mit einem gütigen Gesichtsausdruck: „Einatmen, ausatmen, weiterleben. Es ist doch nur Geld. Ich habe in meinem Testament festgelegt, dass für meine geliebte Frau und meine Mutter so gesorgt ist, dass sie den Rest ihres Lebens in den Verhältnissen verbringen, in denen sie jetzt leben. Der Rest, und der ist beträchtlich, fließt nach meinem Tod zuerst in eine Stiftung …“. „Was für eine?“ stieß seine Schwester Margot hervor, die vor Aufregung nicht imstande war, eine höfliche Frage zu formulieren. „Eine Stiftung zur Finanzierung von Berufswünschen von Menschen, die ein Sabbatjahr, einen Auslandsaufenthalt, eine Umschulung, eine neue Ausbildung oder ein Studium beginnen wollen, kurz, die in fortgeschrittenen Jahren einen beruflichen Neuanfang wagen wollen. Aber“, Ferdinand machte eine Pause, „später wird es dann nur einen Erben geben.“ „Wen?“ hauchte sein Bruder Richard. „Diejenige Person von meinen nächsten Verwandten, die am ältesten von euch wird, die Person, die den Rest von euch überlebt, wird dann das Geld erben.“
Blonde, brünette, schwarze und rote Köpfe blickten zu Ferdinand auf, als wären ihre Gehirne nicht imstande, diese Mitteilung aufzunehmen. Nur ein weißbehaarter Frauenkopf am Ende der Tafel behauptete sich aufrecht. Ferdinand sah zu ihm hin. „Mutter“, sagte er ruhig, „was meinst du dazu?“ Die alte Dame blickte um sich, hob ihr Champagnerglas, lächelte: „Prickelwasser!“ rief sie.
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